Maria
Mein Name ist Maria. Dies wird eine längere Geschichte und keine schöne. Vielleicht wollen Sie mal herzhaft darüber lachen, wie blöd manche Menschen sind? Nur zu. Keine Hemmungen, ich erzähls Ihnen. Sie brauchen bloß zu lesen.
Es ist einfach und doch etwas kompliziert. Schließlich geht es nicht nur um Dummheit, sondern um Straftaten. Am Anfang …
Am Anfang stand Falk. Falk Wiesemann, der Betrüger. Dass er ein Betrüger ist, wusste ich natürlich nicht, als er mich ansprach. Für mich war es einfach der attraktivste Mann, der jemals Interesse an mir gezeigt hat.
Ich bin ein Dorfkind, wie man so schön sagt und das sieht man mir auch an. Mit einer Größe um die Einsachtzig bin ich weder zierlich noch interessant für die meisten Männer. Meine Haare sind so widerborstig, dass man daraus ohne Probleme einen ganz passablen Besen fertigen könnte. Nein, hässlich bin ich nicht, aber eben auch keine Prinzessin, der jeder Kerl hinterherschmachtet. Frauen mit breitem Kreuz und kräftigen Händen stehen leider nicht sehr hoch im Kurs, weshalb ich als einzige von uns sieben Geschwistern allein geblieben bin. Natürlich bin ich keine alte Jungfer, ich habe durchaus Erfahrungen gesammelt. Für Falk war ich dennoch das ideale Opfer. Leider.
Wir trafen uns auf einem Volksfest. Er stand zufällig an einem Stehtisch, an dem ich gerade noch Platz fand, mit einem Bier und einer Brezel in der Hand. Er hatte das selbe und darum kamen wir schnell ins Gespräch. Falk war unheimlich charmant, wir lachten viel und zum Abschied gab er mir seine Visitenkarte, sah mir tief in die Augen und sagte: „Maria, du bist eine tolle Frau. Ich würde dich gerne wiedersehen. Ruf mich an, ja?“
Zu sagen, ich verliebte mich auf der Stelle, wäre übertrieben, aber es kommt der Sache ziemlich nahe, wenn ich ehrlich bin. Ich hatte so ein gutes Gefühl bei diesem Mann!
Die Karte war genauso elegant, wie der ganze Kerl. „Falk Wiesemann, Investor“ stand darauf und seine Rufnummer. Ich konnte mir zwar nicht wirklich vorstellen, was ein Investor tat, aber dass Falk Geld hatte, war ihm anzusehen. Ich mag intelligente und gepflegte Männer und habe einen Blick dafür, ob sie einen Anzug anzogen, weil sie es mussten oder weil sie es wollten. Falk war vermutlich schon mit einem Anzug geboren worden. Kein Wunder, dass er mich derart beeindruckte.
Natürlich war ich stets auch ein bisschen unterzuckert, was Männer betraf. Wer kann schon von sich behaupten, er hätte keine Sehnsüchte, keine Bedürfnisse? Falks Kompliment brachte mich unversehens ins Wanken, rüttelte an meiner Seele und setzte, ich schäme mich inzwischen dafür, einen triebgesteuerten Orkan in mir frei.
Ich weiß heute, dass es nicht klug war, ihn anzurufen. Warum habe ich nicht daran gezweifelt, dass so ein gut aussehender Mann, der offensichtlich auch noch Geld hatte, sich ausgerechnet für mich interessieren könnte? War es Eitelkeit oder Verzweiflung? Vermutlich ein bisschen von beidem. Ich hatte nie die Hoffnung aufgegeben, den Einen, den passenden, wundervollen Mann für mich zu finden. Ja, ich bin eine Optimistin durch und durch. Erst Falk stürzte mich in das schwarze Loch, in dem ich mich später wiederfinden sollte.
Den Fehler, ihm nahezu bedingungslos zu vertrauen, kann ich mir nur damit erklären, dass er genau wusste, welche Knöpfe er bei mir drücken musste. Ich stand unter Hochspannung!
Mein erster Anruf, gleich am nächsten Tag, kostete mich Überwindung. Mir war schlecht vor Aufregung, aber ich schaffte es, locker mit ihm zu plaudern und mich mit ihm zu verabreden. Gott, ich war schon durchgeschwitzt, während ich seine Nummer wählte. Ich hatte mich vorher dezent geschminkt und zurechtgemacht, obwohl er mich gar nicht sehen würde. Es gab mir einfach etwas mehr Selbstvertrauen. Sogar meine Pumps hatte ich angezogen. Die kommen nur bei sehr seltenen Gelegenheiten aus dem Schrank. Aber insgesamt tat die Aufmachung ihren Dienst, ich hatte ein Date mit Falk.
Der Mann war einfach wunderbar und einfühlsam. Er küsste mich erst bei unserem zweiten Treffen und wären bei mir nicht ohnehin schon alle Synapsen durchgebrannt gewesen, wäre das spätestens dann passiert. Falk war ein geborener Küsser. Und als seine Hände dann auch noch unter mein T-Shirt wanderten, war es mit meiner Beherrschung aus. Nur gut, dass wir auf einer Parkbank saßen und ich nicht sofort über ihn herfallen konnte.
Mann, war ich bescheuert! Da küsst und krabbelt dich einer an den richtigen Stellen und schon stellst du ihm ne Bankvollmacht aus. Er hatte mir erklärt, wie einfach er durch die passenden Investitionen zu Geld gekommen war und ich blödes Huhn fiel darauf herein. Natürlich wollte ich auch so viel Geld haben. Ich hatte gerade mit Müh und Not meine kleine Eigentumswohnung abbezahlt und vielleicht noch eine Reserve von fünftausend Euro auf der Bank. Falk benötigte die Bankvollmacht, um für mich Aktien zu kaufen und zu verkaufen. „Mit 250 Euro fangen wir an“, sagte er. „Und dann schauen wir, wie sich das entwickelt.“ Tatsächlich brachten die ersten Aktienkäufe und -verkäufe einen kleinen Gewinn.
Ich blickte zwar nicht durch, was genau er da tat, aber ich vertraute ihm. Und ich schlief inzwischen mit ihm, wenn wir uns, was leider wegen seiner vielen beruflichen Reisen selten vorkam, trafen. Unsere Rendezvous fanden immer irgendwo draußen oder bei mir statt. Ich wusste nicht einmal, wo Falk wohnt. Als ich einmal danach fragte, nannte er mir einen Stadtteil, in dem die schönsten Villen stehen. Er erklärte mir, dass seine geschiedene Frau noch dort wohne und er selten da sei, um ihr nicht über den Weg zu laufen. Ohnehin sei er ja sehr oft unterwegs. Und ich glaubte ihm das natürlich. Wie bekloppt kann man eigentlich sein?
Etwa zwei Monate nach dem ersten Aktienkauf erhielt ich einen Brief von der Bank, in dem die erste Ratenzahlung gefordert wurde. Ratenzahlung? Für was?
Der Besuch bei meiner Bank am nächsten Tag brachte mich zur Besinnung oder vielmehr um die Besinnung. Es fühlte sich an, als sei ein abstürzenden Flugzeug direkt auf mir aufgeprallt. Der Bankangestellte legte mir die Papiere vor, die bewiesen, dass Falk mit meiner Vollmacht eine Hypothek über einhundertfünfzigtausend Euro aufgenommen und ausgezahlt bekommen hatte. Einhundertfünfzigtausend!
Ich verstand die Welt nicht mehr. Wie hatte er das geschafft? Das war unglaublich!
Er musste meine Unterschrift gefälscht und auch den Notar getäuscht haben … Und wozu benötigte er so viel Geld? Für Aktien?
Der Bankangestellte konnte mir leider nicht weiter helfen. Mir war furchtbar schlecht. Natürlich versuchte ich trotzdem, Falk telefonisch zu erreichen. Zu meiner Übelkeit kamen auch noch Bauchschmerzen, als nur seine Mailbox anging. Das durfte doch nicht wahr sein!
Ich versuchte es noch mehrmals, ohne Erfolg. Ich war am Boden zerstört und hoffte dennoch, dass es sich nur um einen großen Irrtum handeln könnte. Allerdings sagte mein Bauch mir ganz etwas anderes.
Und nun erzähle ich Ihnen, wie ich Gislinde und Charlotte kennenlernte. Ohne Falks Betrug wären wir uns nie über den Weg gelaufen, da bin ich mir sicher. Nicht sicher bin ich, ob ich Falk nun dafür danken soll, dass er diese Frauen in mein Leben brachte. Jede Medaille hat ja zwei Seiten. Aber ich greife vor.
Ich wankte also aus der Bank, wie ein vom Kamel getretener Beduine. Wenn ich mich nicht am Geländer festgehalten hätte, wäre ich die Treppe hinabgestürzt. Ich hatte nur eins im Sinn: einen möglichst großen Schnaps zu trinken.
Ja, ich weiß, Alkohol löst keine Probleme. Aber in mir drin war so ein großes Loch, das musste ich irgendwie füllen. Und Alkohol hatte mir da schon gute Dienste geleistet. Zwei Häuser neben der Filiale befindet sich ein kleines Café. Die zwanzig Schritte bis dorthin kosteten mich so viel Kraft, das kann ich gar nicht beschreiben. Gott sei Dank war es um die Uhrzeit noch recht leer. Nur zwei oder drei Tische waren besetzt und im hinteren Teil saßen in einer der beiden plüschigen Nischen, zwei Frauen. Obendrüber röhrte der Hirsch auf den Gemälden.
Ich ließ mich in die plüschigen Sofapolster in der zweiten Nische sinken. Wenn ich in Tränen ausbrechen musste – mir war sehr danach – wollte ich ungern Zeugen dabei haben. Die Bedienung war schnell da und brachte mir auch ganz fix einen doppelten Ramazotti, den ich stante pede hinterkippte und gleich einen neuen orderte. In meinem Kopf rotierten die Gedanken. So etwas hatte ich noch nie erlebt. Ich sah mich schon, wieder in eine kleine Mietwohnung ziehend und eine Hypothek abstotternd, die dieser Betrüger abkassiert hatte. Es war furchtbar! So hatte ich mir meinen Lebensabend nicht vorgestellt.
Und dann hörte ich in der Nachbarnische eine der beiden Frauen schluchzen. Sehr laut und sehr anhaltend. Bis dahin hatte ich kaum etwas von meiner Umgebung wahrgenommen, nicht einmal registriert, wie viele Menschen um mich herum waren. Dieses Schluchzen ging mir bei allem eigenen Elend durch Mark und Bein, ich konnte es einfach nicht ignorieren. Vorsichtig stand ich auf und schob meinen Kopf über die Abtrennung, um zu sehen, ob ich helfen könne. In diesem Moment hörte ich das Wort „Falk“ und den Satz dazu „Wie konnte er mir das antun?“.
Mir drehte sich alles und ich musste mich an dem hölzernen Rahmen der Trennwand festhalten. Der Hirsch auf dem Gemälde glotzte mich an, während ich versuchte, irgendwie zu Luft zu kommen. Konnte das wahr sein? Oder war es eine zufällige Namensgleichheit? Ich weiß bis heute nicht, wie das Schicksal es schaffte, mich ausgerechnet an diesen Ort zu führen. Ich rang, wie gesagt, nach Luft. Die beiden Frauen in der Nische sahen mich mit großen Augen an. Die, die so laut geschluchzt hatte, sah katastrophal aus. So verquollene Augen hatte ich lange nicht gesehen. Die andere hatte ein ziemlich zerfurchtes Gesicht und sah auch nicht gerade fröhlich aus. Angesichts der Umstände fand ich das nicht verwunderlich.
Sie starrten mich an, während ich immer noch keine Luft in meine Lungen bekam. Es muss gruselig ausgesehen haben. Heute können wir drüber lachen. Aber damals dachten sie wahrscheinlich, im Nachbarabteil hätte es sich eine Irre bequem gemacht. Ich quetschte endlich etwas Sauerstoff in mich hinein und röhrte: „Falk Wiesemann?“
Die anderen Gäste sahen sich wahrscheinlich nach mir um, aber das war mir egal. Die Gesichter der beiden Frauen erstarrten. Dieser Anblick war unbezahlbar, wirklich! Und dann nickten sie.
So lernte ich Gislinde und Charlotte kennen und stellte fest, dass ich nicht die Einzige war, die auf diesen Betrüger hereingefallen ist. Ich will an dieser Stelle noch nicht verraten, wie es weiterging, aber eins kann ich sagen. Gemeinsames Elend schweißt zusammen. Das können Sie gern in Stein meißeln.