Das Zusammentreffen
Das war nun schon die zweite Verfolgung, die Gislinde heute aufnahm. Aber sie konnte nicht anders. Der Schock, Falk so unmittelbar beim Lügen zu erwischen, hätte ihr das Hirn vernebeln müssen. Das Gegenteil passierte jedoch. Gislinde konnte glasklar denken und das war gut so.
Die ersten Schritte der fremden Frau hinterher fielen zögerlich aus, nicht nur, weil Gislinde sich komisch vorkam, sondern weil sie überlegte, was das bringen sollte. Die Frau war augenscheinlich verliebt in Falk und wusste wahrscheinlich nicht, dass die Konkurrenz in Gestalt Gislindes ihr so dicht auf den Fersen war. Wusste wahrscheinlich gar nicht, dass eine Konkurrenz überhaupt existierte.
Würde sie Gislinde glauben? Würde sie überhaupt mit ihr reden wollen?
Die Frau schlenderte ein paar Schritte bis zum nächsten Schaufenster. Ob sie sah, was dort ausgestellt war oder ob sie sich nur im spiegelnden Glas bewunderte? So, wie man es machte, wenn man glücklich war und wollte, dass es jedermann sehen konnte?
Ganz innendrin hoffte Gislinde, dass sich alles noch als Irrtum herausstellen würde. Dennoch war ihr klar, dass sie nur jetzt eine Chance hatte, die Sache aufzuklären.
„Entschuldigung!“
Gislinde stellte sich neben die Frau und lächelte ihr freundlich ins Gesicht. Die Frau war ganz hübsch, aber etwa ebenso alt, wie sie selbst. Kein junger Hüpfer mehr.
Ihr Herz klopfte. Was sollte sie weiter sagen?
Die Frau sah sie erstaunt an.
„Ähm, ich habe Sie gerade mit einem Bekannten von mir gesehen. Falk Wiesemann.“
Die Frau sagte nichts, hob nur kurz die Schultern und die Augenbrauen.
„Er war es doch, oder? Oh, Gott, wie peinlich. Er war es nicht, oder?“
Gislinde wäre am liebsten im Erdboden versunken. Gerade brachte sie noch ein dümmliches Anheben ihrer Mundwinkel zustande, während die Sekunden sich wie Minuten anfühlten.
Dann endlich reagierte die Angesprochene.
„Ja, mein Verlobter. Falk Wiesemann.“
Verlobter. Gislinde schwankte. Die Frau sah immer noch erstaunt aus.
„Verlobter?“
„Ja. Woher kennen Sie Falk?“
Gislinde blinzelte. Sie musste sich zusammenreißen. „Ähm, wir kennen uns geschäftlich.“
„Haben Sie etwas mit seiner Hilfsorganisation zu tun?“
Irgendetwas sackte in Gislinde nach unten, als wolle ihre Blase gleich überlaufen.
„Nein, entschuldigen Sie. Ich sollte mich vielleicht vorstellen. Mein Name ist Mühlheim. Gislinde Mühlheim.“ War es möglich, dass ihr jemand Streichhölzer zwischen die Lider geklemmt hatte?
Gislinde zwang sich, der Frau die Hand zu reichen.
„Es ist mir unheimlich peinlich, dass ich Sie hier so anspreche, entschuldigen Sie noch einmal. Aber ich bin wirklich verwirrt.“
Die Frau lachte ungezwungen. „Ich auch, wenn ich ehrlich bin. Was ist denn so Besonderes daran, dass Sie Falk und mich gesehen haben?“
Gislinde war nicht in der Lage, eine vernünftige Antwort zu finden.
„Sie sehen aus, als ob es Ihnen nicht gut geht. Wollen wir uns vielleicht dort drüben in das Café setzen? Ein Glas Wasser trinken?“
Soviel Freundlichkeit hatte Gislinde nicht erwartet. Stumm nickte sie.
Die Frau nahm ihren Ellenbogen und zog sie in Richtung des „Eibencafés“. Nach ein paar Schritten blieb sie abrupt stehen und starrte auf Gislindes Hand, an der sich Falks Ring befand. Sie sah auf den Ring an ihrer eigenen Hand und zuckte unmerklich zusammen.
„Ich glaube, wir müssen sogar miteinander reden. Dringend.“
Gislinde nickte noch einmal. Sie hatte es auch bemerkt. Beide Ringe waren identisch.