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Charlotte


Ich bin so glücklich, ich könnte die ganze Welt umarmen, könnte pausenlos singen und tanzen. Mein Gesicht glüht, meine Körpermitte steht in Flammen. Ich fühle mich wie eine Göttin, die auf dem schaumgekrönten Meer spaziert, wenn er bei mir ist. Gleichzeitig bin ich traurig, wenn wir nicht zusammen sein können. Wenn er wieder auf Reisen ist, vermisse ich ihn so sehr, dass es weh tut. Dann hilft nur ein Blick auf den goldenen Ring, der unsere Liebe krönt. Und dennoch ist da ein Schmerz, als sei mir ein Körperteil amputiert worden, das erst nachwächst, wenn er wieder bei mir ist.

Fühlt es sich so an, wenn man verliebt ist? Jaaaa!

Es ist nicht das erste Mal, dass ich mich verliebt habe. Michael, mein Ex-Mann, den habe ich auch geliebt. Aber dies hier ist komplett anders. Wenn Falk mich ansieht und berührt, verbrenne ich innerlich. Ich möchte mich permanent an ihn schmiegen, seine Haut spüren, sein ruhiges Atmen, seine Küsse, sein…

Dabei kennen wir uns erst ein paar Monate. Bei mir hat es sofort gefunkt, als ich ihn gesehen habe. Dieses Ziehen unterhalb meines Bauchnabels habe ich lange vermisst. Wenn mir das vorher einer gesagt hätte, dass man schon beim Anblick des richtigen Mannes dort Gefühle hat, hätte ich ihn ausgelacht.

In meinem Alter, dachte ich, lernt man nicht mehr viel dazu. Oh, wie habe ich mich geirrt!


Ich traf Falk in dem Seniorenstift, in dem ich arbeite. Er besucht dort regelmäßig eine alte Dame. Wir nennen sie liebevoll Trudchen. Sie ist eine entzückende Person, nicht immer voll bei der Sache, weil die Demenz bei ihr schon recht fortgeschritten ist, aber stets gut aufgelegt und freundlich.

Immer wenn ich Falk sah, zog es mich zu ihm hin. Oft suchte ich einen Vorwand, um kurz bei Trudchen und ihm reinzuschauen und dieses Gefühl, das er in mir auslöste, zu spüren. Ich weiß nicht, was er über mich dachte, aber er war jedes Mal ausnehmend nett und zuvorkommend zu mir. Nicht alle Angehörigen behandeln uns Pflegekräfte respektvoll, deshalb war allein dies schon äußerst sympathisch.

Manchmal gelang es mir, ihn kurz zu streifen oder seinen Duft aufzunehmen. Unglaublich, was das für ein Feuerwerk in mir auslöste. Ich kam mir vor wie ein junges Mädchen und diese Wirkung hat Falk auch jetzt noch bei mir. Dabei ist mein Haltbarkeitsdatum schon ganz schön fortgeschritten. So sehr, dass ich lange Zweifel hatte, ob ein Mann mich in diesem Alter noch attraktiv finden könnte. Es ist für mich auch heute weiterhin ein Rätsel, wieso Falk sich für mich interessierte und sich letztlich sogar in mich verliebte. Aber nun ist es so und das macht mich glücklich.

Anfangs kam Falk einmal die Woche, manchmal sogar zweimal, ins Seniorenstift. Einmal, ich hatte Trudchen nach dem Toilettengang gerade wieder aufs Zimmer gebracht, erzählte er mir, dass er gern öfter vorbeikäme. Leider ist sein Job bei dieser Hilfsorganisation, die sich um verwaiste Kinder in Krisengebieten kümmert, sehr zeitraubend.

Zu hören, welch edler Beschäftigung dieser Mann nachgeht, löste eine weitere Welle Verliebtheit in mir aus. Ich leide ja selber am Helfersyndrom, wie man so schön sagt. Wir sind zwei verwandte Seelen!

Vielleicht hat Falk mir angesehen, welche Gefühle ich für ihn entwickelt habe. Niemals hätte ich gewagt, ihm das zu sagen oder auch nur anzudeuten. Falk ist gut fünfzehn Jahre jünger als ich und absolut attraktiv auf eine Weise, die ich als natürlich bezeichnen würde. Keine Arroganz, keine Eitelkeit. Als ob er keinen Spiegel hat, in dem er sein Aussehen betrachten kann.

Ich finde ihn makellos. Er könnte zahllose Frauen haben und doch hat er sich aus unerklärlichen Gründen für mich entschieden. Manchmal, wenn wir miteinander schlafen, kann ich es immer noch nicht fassen.

Im Moment stehe ich hier vor meinem Kleiderschrank und überlege, welches Kleid für mein Treffen mit Falk passt. Die Auswahl ist recht groß, weil ich fast alle Kleider selbst genäht habe. Meine Tante war Schneiderin und hat mir viel beigebracht. Leider lebt sie nicht mehr.

Ich ziehe das Grüne heraus. Es hat so schöne Flügelärmel, die die Dellen in meinen Oberarmen gut kaschieren. Und dann fällt mir das Kleid mit den Mohnblumen ins Auge. Das ist es! Passend zum Wetter und ich habe darin eine tolle Figur. Heute gehe ich mit Falk in die Stadt, da möchte ich besonders schön sein. Zuerst wollen wir zur Bank und die Überweisung tätigen. Danach will Falk mich in das neue Restaurant ausführen, das kürzlich in der Habergasse eröffnet hat. Es soll teuer sein, aber Falk meinte, es wäre dem Anlass angemessen und für mich wäre ihm nichts zu schade. Hach. Ich merke, wie sich schon wieder die Schmetterlinge in meinem Bauch versammeln. Es ist ein so schönes Gefühl, geliebt zu werden!

Während ich mich ankleide und das bisschen Schmuck anlege, das ich habe, trällere ich irgendeine Melodie vor mich hin. Ich habe sie heute Morgen im Radio gehört und sie lässt mich nicht los. Es wird ein guter Tag!

Vielleicht begleitet mich Falk nach dem Essen noch nach Hause? Da richte ich lieber das Bett schön her, stelle die Vase mit den Blümchen, die er vorgestern spontan vorbeigebracht hat, auf den Nachttisch und stäube etwas von meinem Parfüm in die Luft. Ich mag Dalissime von Salvador Dali. Es ist mein Glücksbringer.

Später steige ich zu Falk in sein tolles Auto. Ein grüner Jaguar. Was für ein Schlitten! Die Frau, die sich darin nicht wie eine Königin fühlt, ist noch nicht geboren. Ich fühle mich so sexy und lächle Falk an, der neben mir konzentriert fährt und nur hin und wieder ein stilles, verstehendes Lächeln zu mir herüberschickt. Wir sind inzwischen so vertraut miteinander, dass ich ihm ohne zu zögern, mein letztes Hemd geben würde. Naja, so viel will er ja gar nicht. Er hat einen finanziellen Engpass und müsste hochverzinste Geldanlagen auflösen, um die Krise in der Station in Kawali beenden zu können. Ich habe ihm selbst angeboten, ihm etwas zu leihen. Immerhin sind wir verlobt. Falk hat meinen Vorschlag zuerst abgelehnt. Allerdings würden ihm die zwölf Prozent Zinsen, die er schon fest für ein neues Schulhaus verplant hat, sehr fehlen. Diese Information musste ich ihm regelrecht abpressen. Ich habe doch gemerkt, dass ihn etwas bedrückt! Selbstverständlich habe ich ihn überredet, sich von mir helfen zu lassen.

Dreißigtausend kann ich selbst aufbringen. Meine Mutter steuert zwanzigtausend Euro dazu, sie vertraut mir. Es ist fast unser gesamtes Erspartes, aber Falk versprach, dass wir das Geld in spätestens zwei Monaten  wiederbekommen. Keine große Sache, ich glaube ihm und freue mich, dass ich mich endlich einmal für seine Großzügigkeit revanchieren kann. Fast automatisch wandert mein Blick zu dem Ring, den er mir geschenkt hat. Er ist filigran, mit einem sehr schönen Stein, der in der Sonne blitzt. Falk sagte mir, der Stein erinnert ihn an das Funkeln, das er verspürt, wenn er an mich denkt. Ist das nicht romantisch?

Wenn seine Hand nicht den Schaltknüppel berührt, stiehlt sie sich auf meinen Oberschenkel und verbrennt mir dort durch den Stoff hindurch die Haut. Er muss gar nichts weiter tun, um mir das Gefühl zu geben, ich könnte auf der Stelle zerfließen.

In stillen Momenten trauere ich darum, dass ich erst jetzt lerne, solche kleinen Gesten auch körperlich zu genießen. Damals, mit Michael, das war nur am Anfang wild. So nach und nach schlich sich die Langeweile ein, ich dachte, das sei normal. Erst Falk zeigte mir, dass man auch mit kleinen Dingen seine Liebe bekunden kann. Es bedarf nicht immer der Beteuerung der Liebe, wenn man auf dem Körper des anderen doch Klavier spielen und sein Herz zum Singen bringen kann, allein durch seine Präsenz.

Hin und wieder stelle ich mir die Frage, womit ich Falk verdient habe. Und dann sage ich mir, dass ich ein guter Mensch bin und der liebe Gott mich für meine Hilfsbereitschaft belohnt. Ich kümmere mich um meine Mutter, all die alten Menschen im Seniorenstift und als ich noch mehr Zeit hatte, habe ich für die Nachbarschaft oft kleine Näharbeiten für umsonst gemacht. Falk ist mein Dankeschön vom Schicksal. Ich habe mir Falk redlich verdient!

Als wir den Wagen in der Tiefgarage abgestellt haben, nimmt er meine Hand. Im Treppenaufgang schiebt er mich sacht voran, indem er meinen Po berührt. Fast möchte ich verweilen, so zwischen dieser und der nächsten Stufe und den zarten Druck erwidern. Aber da kommen uns Leute entgegen und so taff bin ich dann doch nicht, dass ich stehenbleibe, mit der Hand eines Mannes auf dem Hinterteil. Obwohl, warum eigentlich nicht? Ich grinse innerlich.

Auf dem Markt draußen herrscht Gedränge. Die Sonne hat wohl auch noch den letzten Touristen hier in die Stadt gelockt. Falk und ich haben Mühe, uns bis zur Bank durchzuschlagen. Hin und wieder bemerke ich die bewundernden Blicke anderer Frauen. Er sieht aber auch toll aus mit seinem Hut und dem Dreitagebart. Und dann freue ich mich, dass Falk an mich vergeben ist. Ach was, freuen? Ich jubele innerlich und male mir mit jedem Schritt unser zukünftiges Leben aus. Es wird toll werden, das weiß ich. Danke, lieber Gott!