Zum Hauptinhalt springen

Zwölf Pfoten


Da saßen sie nun, die zwei Miezen, und bewachten das Mauseloch auf der Wiese. Das darin lebende Mäuschen tat mir leid, aber Mäusejagd ist nun mal die Natur der Katzen und meine beiden waren keine Ausnahmen. Ich beobachtete sie schon eine ganze Weile und hatte mein Vergnügen daran, wie aufmerksam und mit welcher Grazie sie agierten.

Ronja, die Kleinere, peitschte aufgeregt mit dem Schwanz. Der braune Fleck mitten in ihrem Gesicht gab ihr ein vorwitziges Aussehen. Das passte gut zu ihrem Wesen und, man muss es sagen, sie machte ihrem Namen alle Ehre, unsere kleine Räubertochter. So zierlich sie war, ging sie doch völlig ohne Angst auch auf die größten Kater los, die aus Versehen oder absichtlich unseren Garten durchquerten oder bestand andere Mutproben, die sich in so einem Katzenleben nicht  vermeiden lassen. Mäusefangen stand auf ihrer Agenda aber ganz weit oben.

Sally, ihre Schwester, war ein ganzes Stück größer gewachsen. Weiß der Teufel, wie sie das geschafft hat. Sie saß aufrecht und  würdevoll, wie eine ägyptische Statue da. Nur ihre Schwanzspitze bewegte sich leicht hin und her und verriet, dass auch sie aufgeregt auf das Erscheinen von Frau Maus wartete.

Während die beiden derart beschäftigt waren, winkte ich unserer Hündin Kara. Sie ist die Jüngste unserer Fellnasen, aber die Größte. Die Miezen können locker unter ihr hindurch laufen, was immer wieder für Erheiterung sorgt, wenn sie es tun. Karas Zeit für den Nachmittagsspaziergang war gekommen und auf mein Zeichen hin, sprintete sie eifrig zur Haustür. Chemisettchen umgelegt, Leckerchen rein in das stets hungrige Hundekind und los ging es.


Etwa 150 Meter von unserem Haus entfernt hörte ich auf einmal merkwürdige Geräusche. Ich konnte sie gar nicht zuordnen, aber sie kamen von hinten, so dass ich Kara warten hieß und mich umdrehte. Wer Tiere hat, weiß, dass es immer wieder lustige Situationen gibt, in denen man sich ein Grinsen nicht verkneifen kann. Dies war so eine, denn was ich sah, brachte mich sogar richtig zum Kichern. Sally raste schreiend auf uns zu, die grünen Augen weit aufgerissen. Zuerst amüsierte ich mich nur über den lustigen Anblick und konnte mir gar keinen Reim darauf machen, warum sie sich so verhielt. Dann begriff ich es. Sally protestierte so lautstark, weil wir ohne sie losgelaufen waren. Ihr Geheul klang absolut entrüstet. Da hatten wir uns doch gewagt, nur zu zweit das Gelände zu verlassen. Sowas aber auch!

Bei uns angekommen, gab sie eine Art Meckern von sich. Das klang schon etwas zufriedener, meckmeckmeck. Dass Sally solche Töne machen konnte, wusste ich bis dato nicht. Aber man lernt ja nie aus.

Ein paar Meter weiter hinten sah ich nun auch Ronja, die offenbar der Meinung war, sie müsste sich uns ebenfalls anschließen. Frau Maus in ihrem Mauseloch rieb sich bestimmt erleichtert die kleinen Pfötchen, war sie die beiden Jägerinnen doch erst einmal los. Dafür hatte ich jetzt drei Fellkinder bei mir, die vermutlich unterschiedliche Ansprüche an einen Spaziergang stellten. Na, ob das gut ging?

Gott sei Dank wohnten wir in der Nähe eines Wäldchens, nur zwei sehr wenig befahrene Straßen trennten uns. Die überquerten wir. Vorneweg Kara,  dann Sally, ich und am Ende tüdelte Ronja und fand nahezu jeden Grashalm spannend, was unsere Laufgeschwindigkeit erheblich reduzierte. Nach einer Weile kamen wir dann doch endlich an und stürzten uns ins Grüne.

Während Kara mit ihrer Schnüffelnase die Hundezeitung las und feststellte, wer vor uns hier entlang gegangen war, erkundete Ronja, wie das mit der Besteigung von Bäumen funktionierte. Mit beiden Vorderpfoten um den Baumstamm, die Krallen fest in die Rinde gehauen und mit viel Schwung nach oben, sehen, wie weit man kommt.

Sie beherrschte das ziemlich schnell und eroberte einen Baum nach dem anderen, stellte sich auf ausladende Äste und guckte herausfordernd in die Gegend. Kann man sagen, dass Tiere zufrieden und glücklich aussehen können? Man kann. 

Ronja war begeistert. Ihre Augen funkelten vor Abenteuerlust.

Ihre große Schwester strich mir währenddessen um die Beine und versicherte mir auf diese Weise, dass sie mich niemals im Stich lassen würde. So eine treue Seele! Dann traute sie sich doch, mal am Wegrand zu schauen, was es dort Schönes gab, und verlor ihre Scheu vor dem Fremden. Bald jagte sie voller Freude ein Insekt, schnupperte an Erdlöchern und probierte, wie das Gras hier im Wäldchen schmeckte. Mitunter sah ich nur ihren Popo aus einem Grasbüschel ragen, den Schwanz steil aufgerichtet. 

So ging es recht langsam vorwärts und ich wunderte mich nicht, dass Kara ungeduldig an der Leine zog. Sie wollte so gerne vorwärts kommen. Die Ursache für ihr Ziehen lag aber gar nicht darin, Strecke zu machen, sondern befand sich etwa 70 Meter vor uns, mitten auf dem Weg. Arko, ein stets freundlicher Airedaleterrier und zugleich Karas liebster Spielgefährte, sah uns schon erwartungsvoll an. Sein Frauchen wusste ja nicht, dass ich die beiden Miezen dabei hatte und ließ Arko eben von der Leine, damit er uns begrüßen konnte. Nur Arko dachte gar nicht an Begrüßung, sondern stürzte an uns beiden vorbei, den Katzen hinterher. Da half alles Rufen nichts. Arko hatte eine Mission: Dem Erzfeind den Garaus machen!

Ronja sauste wie ein Blitz auf den nächst gelegenen Ahornbaum und besah sich den Fremdling fauchend von oben. Auch Sally hatte sich binnen Millisekunden in einem dichten Gebüsch verschanzt. Arkos Frauchen und ich waren erst einmal überrumpelt. So kannten wir Arko noch nicht! Und ich war natürlich froh, dass die Mäuzen so schnell reagiert hatten. Ihr Urinstinkt funktionierte noch sehr gut, obwohl sie so eine Situation ja nicht kennen konnten. Es hätte durchaus schief gehen können und mir pochte ganz schön das Herz. Ich selbst war in der Kürze der Zeit gar nicht dazu gekommen, etwas zu unternehmen, zu verblüfft war ich über Arkos Reaktion. Naja, vom Schreien einmal abgesehen.

Doch was nun?

Arko war noch voller Tatendrang, zwar nun wieder an der Leine, aber so ganz hatte er noch nicht aufgegeben. Kara hingegen registrierte das Drama nicht als solches, sondern schaltete direkt in den Spielmodus und tänzelte fordernd zwischen ihrem Freund und mir herum. Wann ging es denn nun endlich los?, fragten mich ihre Blicke.

Ronja sah nicht so aus, als ob sie ihren rettenden Baum vorläufig verlassen würde. Ihre ganze Körperhaltung war noch auf Krawall ausgerichtet. Sally wiederum tat keinen Mucks, kein Meckmeck in ihrem Busch. Nicht mal eine Schwanzspitze war zu sehen und ich dachte schon, dass sie vielleicht rückwärts aus dem Gebüsch gekrochen und das Weite gesucht hatte.

Arkos Frauchen und ich einigten uns, erst einmal ein ordentliches Stück weiter zu gehen und dort die Hunde miteinander spielen zu lassen. Später würde ich den Weg zurück laufen und schauen, ob die Katzen den Heimweg alleine angetreten hatten. Denn folgen würden sie mir im Moment mit Sicherheit nicht.

Gesagt, getan. Kara und Arko tobten, wie nur Hunde miteinander toben können. Am liebsten schlug Kara Purzelbäume, eine Eigenart, die ich vorher noch bei keinem anderem Hund beobachtet hatte und immer wieder amüsant fand. Durch den Regen vom Vortag war der Boden teilweise noch ein bisschen matschig, so dass meine blonde Golden Retrieverhündin in kürzester Zeit wie ein kleines Schlammschwein aussah. Glücklicherweise besaß sie eine Art Selbstreinigungsfell, so dass ich keine Sorge hatte, sie später und um ein Kehrschäufelchen Dreck reicher, wieder manierlich vorzufinden.

Nachdem die beiden Hunde genug hatten, verabschiedeten wir uns und ich schlug den Rückweg ein. Ich war mir nicht ganz sicher, ob die Katzen von allein nach Hause finden würden. Es war zwar nicht weit, aber sie waren die Strecke mit mir zum ersten Mal gelaufen. Da machte ich mir doch ein wenig Sorgen, obwohl es ja hieß, man solle den Instinkten der Tiere etwas zutrauen.

An der bewussten Stelle angekommen, sah ich weder Ronja, noch Sally. Auch auf mein Rufen reagierte keiner. Das stimmte mich etwas ratlos. Gerade als ich zu Kara sagte: „Na, da gucken wir jetzt mal zu Hause nach“, streifte etwas Weiches meine Wade. Ronja. Offensichtlich hatte sie sich im hohen Gras versteckt und war jetzt froh, nicht alleine den Heimweg antreten zu müssen. Sie umkreiste Kara, rieb sich an ihr und schon war die Welt wieder in Ordnung. Auch für mich, zumindest zu fünfzig Prozent. Dann hörte ich aus Sallys Gebüsch ein klägliches Miau. Allerdings musste ich mehrfach rufen, bevor nun ebenfalls mein zweites Katzenkind hervor kam, sich freudig an mir rieb und wir gemeinsam den Rückweg zurück legten. Vorne lief Kara, dahinter Ronja mit steil aufgerichtetem Schwanz,  dann ich und mir dicht auf den Fersen, Sally mit einem zufriedenen Meckmeckmeck.